Die Blumenoffensive (Brief von Ursula vom 18.09.2019)

Zum Hintergrund: Einige Unterstützer von Ursula hatten sich überlegt, der ältesten politischen Gefangenen der Welt eine Freude zu machen, indem sie ihr über einen eigens dazu befugten Blumenhandel zahlreiche Blumensträuße in die JVA sandten. Mittlerweile ist nicht nur ihre Zelle, sondern ein Großteil ihrer Abteilung inkl. der Beamtenbüros mit den Blumen geschmückt, außerdem mußten eigens neue Vasen bestellt werden, um das ständig neue Eintreffen der Blumengeschenke zu bewältigen. – Auch so etwas dürfte einmalig in der BRD-Justizvollzugsgeschichte sein!

Das war ein völlig überraschender, großartiger Einfall, ein Gefängnis mit Blumen zu bombardieren. Da bricht ganz schnell die Wirtschaft (Blumenladen), das Transportwesen und die Bürokratie zusammen. Für eine solche Offensive gibt es keine Gesetze im Regelwerk der JVA, genauso wenig wie für Äußerungsdelikte.

Zunächst möchte ich mich sehr herzlich bedanken für die wunderschönen Blumensträuße. Der Strauß mit den gelben Rosen hielt sich besonders lange, eine letzte steht noch stramm aufrecht auf meinem Vielzwecktisch.

Doch jetzt wird es etwas problematisch. Organisationstalent ist gefragt, denn die Zelle ist klein, die Gesetze sehr eng. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, achtet bitte auf Internetmitteilungen. Am einfachsten wäre es natürlich, mich freizulassen, dann verschwinden alle Probleme sofort. Einen Jagdschein habe ich nicht – also ganz ungefährlich.

Ich habe jetzt mit der Gärtnerei abgemacht, nur einen Strauß pro Woche zu schicken und darüber hinausgehende Aufträge zu dosieren, mal sehen, ob das klappt. Jedenfalls bekommt die Zelle einen ganz anderen Charakter, wenn da Blumen stehen. Leider darf ich, wenn so viele Blumen kommen wie letzte Woche, sie nicht verschenken, das wäre Geschäftemachen mit den Häftlingen, was nicht erlaubt sei. Die „Blumenkonferenz“ hat dann beschlossen, mir zu erlauben, zwei Sträuße für den Sonntagsgottesdienst dem Pfarrer zu schenken, der sich sehr freute.

Das größte, jetzt aufgetauchte Problem ist der „Mißbrauch“ als Gefahr bei vorzeitiger Entlassung aus der Haft. Wird ein Dieb gefragt, warum er im Knast sitze, dann sagt er, weil ich ein Auto gestohlen habe. Wer aber ein Äußerungsdelikt begangen hat, was sagt der? Wahrheitsgemäß antwortet er, weil ich wissen wollte, wo die sechs (…). Das kann ja wohl kein Mißbrauch sein? Wieso, sagt die Richterin empört, natürlich ist das strafbar, das ist die Wiederholung ihrer Straftat. – Aber, Frau Richterin, sage ich nun, das kann es doch wohl nicht geben…

Da haben wir von einer ganz anderen Seite wieder die Bestätigung, daß ein bißchen drehen an der Meinungsfreiheit nicht geht, entweder wir haben sie ganz oder gar nicht. Das ist dann Diktatur, wie das so gerne von der BRD-Regierung Türken und Russen vorgeworfen wird. Jeder kehre zuerst vor seiner eigenen Tür. Wozu haben wir denn so treffende Sprichwörter, von denen sehr viele aus der Bibel stammen.

Ein Äußerungsdelikt führt unausweichlich zu dem strafbaren Mißbrauch oder in die Lüge. Die Meinungsfreiheit ist wieder ganz herzustellen. Deshalb muß der Paragraph 130, 3 StGB verschwinden. So besteht bei mir erhöhte Mißbrauchsgefahr, weil ich nicht bereit bin, zu antworten: Nun ja, Frau Richterin, wenn Sie es denn so wünschen, dann habe ich eben Radieschen gestohlen, darum bin ich inhaftiert…

Ursula Haverbeck

Übernommen von freiheit-fuer-ursula.de

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